Remote Work: «Arbeiten, wo man will» – Interview mit Stefan Vetter in der Zeitschrift Context

By Stefan Vetter | 6. November 2017 (aktualisiert 12. Februar 2020) | Wortspiel

Dezentrales Arbeiten ist im Trend. Die Agentur «Wortspiel» setzt ausschliesslich auf Remote Work. Die Mitarbeitenden sitzen unter anderem in Zürich, Bern und Hamburg. Zweimal im Jahr treffen sie sich.

Dieser Text von Rolf Murbach ist ursprünglich erschienen in der Zeitschrift Context des Kaufmännischen Verbands Schweiz. 

«Wortspiel» befindet sich in einem älteren herrschaftlichen Haus in Zürich: eine Bürogemeinschaft, wie es sie Dutzende gibt. Grosse, helle Räume, ein Tisch für Sitzungen, einige Tische mit Computern. Es ist das Hauptquartier der jungen Agentur. Aber nicht nur.

Hier arbeiten die Mitarbeitenden von drei anderen kleinen Firmen. Stefan Vetter ist Gründer und Geschäftsführer der «Wortspiel GmbH». Er konzipiert, schreibt und telefoniert hier, wenn er nicht unterwegs oder im Homeoffice ist.

Ein grosser Teil der Werbung hat sich längst ins Internet verlagert. Online-Präsenz ist alles, aber vor allem muss man gefunden werden. Was nützt ein tolles Angebot, wenn Kunden nicht darauf stossen? Hier setzt «Wortspiel» an.

Die Agentur unterstützt vor allem Startups und Corporate Start-ups bei ihren Google-AdWords-Kampagnen. Ziel ist: Wirkungsvoll platzierte Werbung im Netz und neue Kunden.

«Wortspiel» ist eine ungewöhnliche Firma, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stammen aus verschiedenen europäischen Städten, sehen sich kaum und arbeiten remote, das heisst: dort wo sie wollen.

Das ist in Frauenfeld, Köln, Wettingen oder auch mal auf einer karibischen Insel. Ein Mitarbeiter von «Wortspiel» verbringt die Zeit am liebsten am Meer, dort sei er wirklich produktiv. «Das Büro in Zürich brauchen wir vor allem für Meetings», sagt Stefan Vetter.

Leidige Büropräsenz

Dezentrales Arbeiten war von Anfang an das Konzept des 2015 gegründeten Unternehmens. Stefan Vetter war lange in verschiedenen Start-ups und Agenturen tätig, zuletzt als Marketingleiter einer Softwarefirma und AdWords-Projektleiter einer Marketingagentur.

«Ich habe da viel gelernt», sagt der Firmengründer. «Aber ich habe nicht verstanden, weshalb die meisten auf einen festen Arbeitsplatz fixiert waren.»

Er dachte: Wir bieten digitale Dienstleistungen an und unterwerfen uns gleichzeitig dem Diktat der Büropräsenz. Das ist weltfremd und ein Relikt aus der Industrialisierung.

Der AdWords-Spezialist hatte eine klare Vorstellung: Er wollte eine Firma gründen, in der die Menschen orts- und zeitunabhängig arbeiten würden, eine sogenannte Remote-Agentur. Einige Vorbilder gab es, wie zum Beispiel die Macher von WordPress, doch in der Schweiz gehört «Wortspiel» zu den Vorreitern.

Natürlich lag Stefan Vetters Motivation nicht alleine in einem flexiblen Arbeitsmodell, sondern im hohen Anspruch an die Dienstleistungen, die er mit seiner Firma anbieten wollte.

Ihm schwebte eine «Boutique-Agentur» vor, wie er sagt. AdWords-Kampagnen seien ein anspruchsvolles Geschäft, und es sei nicht einfach, im Raum Zürich Topleute finden. Die Cracks lebten in Berlin, San Francisco oder in Südostasien. «Wir können mit den Besten arbeiten. Der Wohnort ist kein Kriterium.»

«Die Leute haben spannende Jobs, ohne dass sie ihr gewohntes Umfeld verlassen müssen.»

Stefan Vetter schaut aus dem Fenster, denkt nach und sagt: «Die Leute haben spannende Jobs, ohne dass sie ihr gewohntes Umfeld verlassen müssen, das ist doch schön.»

Und er führt aus, wie sich die Ansprüche der Generation Y gegenüber früheren Generationen verändert haben, wie junge hoch qualifizierte Fachkräfte Bedingungen an die Arbeitgeber stellten und nicht mehr bereit seien, für eine attraktive Stelle auf Freiheiten zu verzichten. «Bei der Work-Life-Balance und der Lebensqualität machen sie keine Kompromisse.»

Zeit für die Familie

Seit Stefan Vetter vor gut einem Jahr Vater geworden ist, schätzt er das zeit- und ortsunabhängige Arbeiten doppelt. Etwa drei Tage pro Woche ist er im Homeoffice.

Kein zeitraubendes Pendeln, keine unnötigen Sitzungen, dafür konzentriertes und produktives Arbeiten im eigenen Haus. Und: «Ich verbringe viel Zeit mit meiner Familie, spiele und esse mit meiner Tochter und sehe, wie sie Fortschritte macht.»

Die Einsamkeit – es fehle der Lagerfeuergroove eines gemeinsamen Büros, der Austausch mit den Kollegen, der Schwatz beim Kaffee, hört man, wenn es um Homeoffice geht. Das stimme nur bedingt, sagt Stefan Vetter. Und hänge davon ab, wie man sich organisiere.

An mehreren Tagen ist er im Büro, wo er andere trifft. Zwar nicht seine Mitarbeiter, dafür Spezialisten der kleinen Firmen. Das sei anregend. Vetter verwirklicht so, was sich seit einigen Jahren als Trend abzeichnet.

In vielen Städten gibt es die sogenannten Coworking Spaces mit Arbeitsplätzen, die man während einzelnen Tagen mieten kann. Sie unterscheiden sich meist von den herkömmlichen 08/15-Büros und zeichnen sich durch ein inspirierendes Ambiente aus. Start-ups und Freiberufler sind hier tätig und tauschen sich aus.

Unterdessen schicken auch grössere Firmen ihre Teams zwecks Inspiration in die Coworking Spaces.

Stefan Vetter sieht im Remote Work auch eine Chance für abgelegene Regionen. Früher waren spezialisierte Fachkräfte gezwungen, in eine Stadt zu ziehen. Heute können sie in der Provinz arbeiten, sofern sie das wollen.

Stelldichein im Appenzell

Natürlich geht es nicht ohne Austausch. Mindestens einmal pro Woche kommunizieren die Mitarbeitenden von «Wortspiel» per Videochat, und zweimal pro Jahr treffen sie sich physisch während eines Wochenendes.

In Hamburg oder im Appenzell, wie ein Filmchen auf ihrer Site zeigt: eine lustige und aufgeräumte Truppe von AdWords-Cracks im Alpstein.

Hinzu kommen je nach Projekt bilaterale Treffen – im Netz oder falls nötig im Zürcher Büro. «Wortspiel» ist langsam gewachsen, das ist auch im Sinn von Stefan Vetter.

Neun Mitarbeitende sind unterdessen für die Agentur tätig. Neue Mitstreiter finden sie ausschliesslich übers Netz: Leute, die sich in einem Gebiet profilieren. Die klassische Jobsuche und Stellenvermittlung ist hier unbedeutend.

Neue Wege geht die Firma seit kurzem auch in der Rechnungstellung. «Wir haben aufgehört, auf Stundenbasis zu arbeiten.» Das Unternehmen definiert Ziele und verrechnet nur, wenn der Job aus Kundensicht erfolgreich verlaufen ist. «Bis jetzt sind wir damit gut gefahren. Auch wir tragen einen Teil des Risikos und schaffen dadurch Vertrauen.»

Wichtig ist also die Beratung und gemeinsame Zielsetzung. Und die Einschätzung, ob eine AdWords-Kampagne erfolgreich sein kann. Das bedingt, dass die Agentur à jour ist.

Das zielgruppengenaue Marketing im Netz ist anspruchsvoll. Userverhalten, Datenanalyse, Textwirkung und die relevanten Algorithmen sind komplex. Und alles ist dauernden Veränderungen unterworfen. «Wortspiel» muss also weiterhin auf Agilität setzen. Mit Remote Work fällt der Agentur das offenbar leicht.

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Stefan Vetter ist CEO und Gründer bei Wortspiel. Er erstellte 1999 seine erste Website und ist seitdem im digitalen Marketing tätig. Stefan ist ausserdem Gründer von Friendly, einer Schweizer Anbieterin von datenschutzfreundlicher Marketing-Software.